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Der schöne Ferdinand

Ein funkelnagelneuer goldener Porsche - der Ferdinand – oho: das stärkste Modell, der schnellste, schönste, feuchteste Traum der Jungmänner von gestern. Aber der Audi 80 an Kreuzung staubt ihn ab, mit quietschenden Reifen, mit heulendem Motor, verzweifelt, sozusagen. Auf dem Gehsteig daneben regt sich ein Pensionist händefuchtelnd darüber auf, dass das Gefährt keine Nummerntafel hat. Und auch sonst stimmt bei näherem Hinsehen so einiges nicht. Der goldene Ferdinand steht mitten auf der Fahrbahn und macht keinen Mucks. Als die Ampel auf grün geschaltet hat, setzt sich das Gefährt trotzdem langsam, sehr langsam, in Bewegung, denn der Fahrer tritt nicht lässig aufs Gas: sondern in die Fahrradpedale. So oder so ähnlich hört sich der Bericht von Hannes Langeder über die erste Ausfahrt seines neuesten Kunstobjekts an. Die Erzählung sagt viel aus über unsere Wahrnehmungsgewohnheiten; darüber, dass wir uns meist damit begnügen, ein Ding schnell zu identifizieren – hier die gewölbte Kühlerhaube, Goldfarbe, tiefliegende Karosserie, Heckspoiler (gaaanz wichtig, ja, ja!) - und schon vermeinen wir, zu wissen, woran wir sind. Wir assoziieren: „„Herren“ sportfahrer auf der chronischen suche nach junger Damenbegleitung (wenn nicht gerade verstorbener österreichischer Politiker),“ oder so ähnlich.
Die Mimikry, die der Fahrradporsche erzeugen wollte, gelingt, die Stubenfliege tarnt sich als Wespe und produziert stereotypische Reaktionen; die Täuschung hält allerdings nur jenen Augenblick an, der uns daran gewöhnt hat, die bekannte Form mit Vergaserkraft, Geschwindigkeitsexzess, und ritueller Verschwendung natürlicher Ressourcen zu assoziieren. Um diese Wirkung zu erzielen, hat sich der Künstler in monatelanger intensiver Arbeit darauf konzentriert, die charakteristischen Umrisslinien mit von Klebebändern zusammengehaltenen Leitungsrohren nach selbstgefertigten Schablonen zu formen und zu verstreben. Insgesamt wiegt der Porsche samt hauchdünner Plastikverkleidung, Acrylglasscheiben, zweisitziger Fahrradkarosserie und Lichtanlage kaum hundertfünfzig Kilo. Zu viert könnte man das Gefährt problemlos durch die Fußgeherzone tragen, sage ich, aber das ist , wie der Künstler nicht ohne Vergnügen bemerkt, gar nicht notwendig, denn mit dem Fahrrad ist es ohnedies erlaubt, sich hier fortzubewegen.

Das Kunstobjekt will als bewusster Beitrag zur Entschleunigung verstanden werden. Es geht hier keineswegs um den schellen Witz (ha, ha, der fährt jetzt mit der Sportwagen-Rikscha!). Vielmehr unterläuft Hannes Langeder die futuristische Ideologie der Maschinen- und der Geschwindigkeitsverherrlichung: Mit einer Kunstform, die sich nicht sofort als solche zu erkennen gibt und damit aus dem alltäglichen Bereich entfernt, musealisiert werden will. Es geht beim Fahrradporsche gerade um die Präsenz in diesem öffentlichen Raum, darum, zum Nachdenken über die mögliche Umgestaltung unserer Lebenswelt anzuregen, und so in einen Dialog mit anderen StaßenbenützerInnen treten zu können. Das Gehzeug des Verkehrsplaners Knoflacher kommt in den Sinn, jener tragbare Rahmen mit den Ausmaßen eines PKW, der durch diagonal verlaufende Seile für einen Menschen bequem tragbar ist. Mit ihm können sich FußgängerInnen in den Fließverkehr auf der Fahrbahn einordnen und den Autoverkehr entschleunigen. Das Gehzeug ist ein geniales Demonstrationsobjekt im wahrsten Wortsinn; seine Zielrichtung hat eindeutig agitatorischen Charakter und will auf die Unsinnigkeit unserer Fortbewegungsmittel hinweisen.
Hannes Langeder, dem die Zurschaustellung der zerstörerischen Dimension des Automobils ebenfalls ein dringendes Anliegen ist, hat allerdings geschickt einen Umweg beschritten. Denn er betätigt sich mehr als Imitator denn als Agitator. Der Fahrradporsche ist ein Emblem dafür, dass Wiederholung niemals eine Reproduktion des Gleichen bedeutet. Vordergründig ist seine Arbeit mimetisch in jenem abwertenden Sinne, in dem Platon die Kunst allgemein beschrieben hat: bloße Nachbildung der Formen der Dinge, ohne deren Funkton zu erfüllen; nutzloses Zeug also. Aber gerade beim Fahrradporsche stellt sich dann unmittelbar die Frage, was denn eigentlich die Funkton des Urbildes, also: des richtigen, das kraftstrotzenden, motorheulenden Vehikels war? Für mich als passionierten Radfahrer ergeben sich die eingangs skizzierten Assoziationen: auch das vierhundertpferdestärken-Kraftei hat keine andere Funktion, als jene, Reichtum, Macht oder Potenz darzustellen. Aus dieser Perspektive betrachtet, leitet Langeder die hier avisierte Umkodierung durch das Publikum an, jene von den cultral studies allgemein für den Konsum trivialer massenkultureller Produkte konstatierte Subversion; diese Umsemanitisierung des Bekannten war immer schon das Hauptgeschäft künstlerischer Arbeit. Insofern erinnert seine Arbeit an Erwin Wurms Fat Car (2000-1, mak, Wien): hier wurde eine Autokarosserie (diesmal samt Nummerntafel) mit luftgefülltem rosa Plastik umgeben, dessen gerundete Formen vage an einen Porsche erinnern, und die Assoziation mit menschlichem Fleisch, sex- toys u.ä. ermöglichen.
Der Fahrradporsche fungiert als Signifikant für die seit den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts anhaltende Faszination mit der Gestalt eines Automobils; Hannes Langeders Kunstobjekt fehlt aber gerade die „Selbstbeweglichkeit“ durch einen Motor; dem Fahrzeug Auto also eine wesentliche Eigenschaft. Trotzdem bleibt das Vehikel als Porsche erkennbar: „es bewegt sich doch“, allerdings nicht aus eigener, sondern mit der Muskelkraft der Insassen. Hier öffnet sich Raum für Reflexion, für einen Gegensatz, der schon von Roland Barthes thematisiert wurde. In der industriellen Warenwelt wird das massenproduzierte Konsumobjekt, bedingt durch seine Wiedererkennbarkeit, zum Zeichen für etwas Anderes. Die seriell hergestellten, scheinbar identischen Objekte erzeugen daher eine Sphäre, in der mit ihnen kommuniziert wird. Insofern ist der Fahrradporsche ein clevere Intervention, denn hier handelt es sich nicht um ein serienproduziertes Objekt. Er ist ein Unikat, bestenfalls ein Prototyp: durch seine Mimikry, seine nur scheinbar behutsame künstlerische Intervention bearbeitet Hannes Langeder „den Ferdinand“; er rettet die ästhetische Form des Fahrzeuges, dessen Phantasma Teil des allgemeinen Kulturgutes geworden ist (das schon von Janis Joplin, wenn auch nicht ohne Ironie, besungen wurde) und ermöglicht deren Weiterleben in einem völlig neuen Verweiszusammenhang. Wir haben es (um einen Begriff der gegenwärtigen Bildtheorie J. W. T. Mitchells zu verwenden), mit einer Intervention in das image – in das mentale Bild einer Sache-, eher denn mit pictures, also den konkreten Repräsentationen zu tun.

 

Dr. Sergius Kodera,
Privatdozent für Philosophie an der Universität Wien und der Kunstuniversität Linz,
Leiter des Bereichs Kunst- und Kulturwissenschaften an der New Design University, St.Pölten.